Vor zwei Jahren implodierte der Wirecard-Konzern. Der Ex-Chef sitzt in U-Haft, sein Vorstandskollege ist auf der Flucht. Was wusste der jetzige Kanzler?
Das Wichtigste im Überblick
- Was werfen Kritiker Scholz in der Causa Wirecard eigentlich vor?
- Was hat sich seit Wirecard in der Aufsicht verändert?
- Könnte es zu weiteren Finanzskandalen kommen?
- Was haben die Geheimdienste mit Jan Marsalek zu tun?
- Was sagt der frühere Wirecard-Chef Braun dazu?
Für einen früheren deutschen Topmanager wird der 22. Juni auf ewig ein Datum des Abstiegs sein; ein Datum, das die vorangegangen 20 Jahre zunichte machen sollte – und auch die nächsten Jahre entscheidend prägen wird.
Der Ex-Topmanager heißt Markus Braun, jahrelanger Vorstandschef von Wirecard. Und an diesem Tag vor genau zwei Jahren wurde er das erste Mal verhaftet. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft wiegt schwer: Braun soll die Bilanzsumme und die Umsätze des Zahlungsdienstleisters durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht haben.
Bevor die Münchner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl erlassen hat und Braun sich den Ermittlungsbehörden stellte, gab Wirecard offiziell bekannt, was schon einige Tage zuvor im Raum stand. 1,9 Milliarden Euro, die auf philippinischen Treuhandkonten liegen sollten, gibt es mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht.
Der Konzern fiel kurz darauf wie ein Kartenhaus in sich zusammen – und stellte den deutschen Finanzplatz auf den Kopf (lesen Sie hier die ganzen Hintergründe).
Ex-Asienvorstand Jan Marsalek war da schon auf der Flucht. Er wird seitdem international gesucht, soll gute Verbindungen zu Russland haben und sich wohl in dem Land aufhalten. Das bedeutet: Eine der wichtigsten Personen zur Entschlüsselung des Wirecard-Skandals ist voraussichtlich in der Hand von Putin – und dieser wird diesen Trumpf versuchen auszuspielen, wie Experten vermuten. Auch mit Blick auf die Bundesregierung (siehe vorletzter Abschnitt).
Dieser Artikel ist Teil einer Mini-Serie von t-online zum Wirecard-Skandal. Anlass ist der Absturz des Konzerns vor zwei Jahren. In weiteren Artikeln beschäftigen wir uns mit den geschädigten Wirecard-Anlegern und den gefallenen Wirecard-Managern. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Schreiben Sie uns gerne eine Mail an wirtschaft-finanzen@stroeer.de.
Auch die politischen Verwicklungen in den Wirecard-Skandal reichen tief. Im Bundestag setzte sich daher extra ein Untersuchungsausschuss zusammen. Sein Urteil: vernichtend.
Der Finanzdetektiv und der Milliardenskandal
Einer, der damals im U-Ausschuss saß und sich auch heute mit den Verwicklungen des Finanzskandals beschäftigt, ist Fabio De Masi. Der selbsternannte „Finanzdetektiv“ untersucht immer noch die Gegebenheiten rund um den Absturz des Wirecard-Konzerns. Auch nach zwei Jahren. Und auch, obwohl er gar keinem Parlament mehr angehört. Gar nicht mehr in Deutschland wohnt.
De Masi war bis 2021 Bundestagsabgeordneter der Linken, saß als Obmann seiner Fraktion im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Mittlerweile lebt er in Südafrika, gibt Interviews und schreibt an einem Buch über Wirecard. Was ihn stört, ist, dass der Skandal noch immer nicht aufgeklärt ist. Und dass er wohl so schnell auch nicht aufgeklärt sein wird.
„Nach der Bundestagswahl gibt es keinen politischen Druck mehr, den Wirecard-Skandal aufzudecken“, sagte er im Gespräch mit t-online. „Es wäre fatal, wenn einer der größten Wirtschaftsskandale Deutschlands einfach so versandet.“
t-online erklärt, welche Kritik es an der Politik im Wirecard-Skandal gab, was sich bei der Finanzaufsicht änderte – und was Geheimdienste mit dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek zu tun haben.
Was werfen Kritiker Scholz in der Causa Wirecard eigentlich vor?
Konkret geht es um Scholz‘ Rolle als Finanzminister, der die Rechts- und Fachaufsicht über die Finanzaufsicht BaFin hat. Die BaFin habe trotz klarer Hinweise auf Unregelmäßigkeiten nötige Schritte nicht ergriffen, werfen Kritiker der Behörde vor. Auch sei die BaFin Verdachtsmeldungen auf Geldwäsche vor der Wirecard-Insolvenz nur ungenügend nachgegangen.
Schlimmer noch: Anfang 2019 hatte sich die Aufsicht sogar auf die Seite von Wirecard geschlagen und Journalisten der „FT“ angezeigt – sowie ein Leerverkaufsverbot verhängt. Es festigte bei Investoren den Eindruck, Wirecard sei Opfer einer gezielten Attacke. Leerverkäufer spekulieren auf fallende Kurse eines Unternehmens und veröffentlichen dafür oft bewusst negative Informationen.
Dieses Verhalten wirft nach dem Skandal ein noch schlechteres Licht auf die BaFin und Scholz – und wirkt sich auch noch auf seine Kanzlerschaft aus. So nimmt die Kritik an Scholz nach der Wahl nicht ab. „Olaf Scholz trägt als damaliger Finanzminister die politische Verantwortung für den Wirecard-Skandal, für das Aufsichtsversagen“, sagte etwa der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer t-online.
Die BaFin habe „viele fachliche Fehler gemacht“ – bei der Bilanzkontrolle, bei der Finanzaufsicht, bei der Geldwäscheaufsicht und bei den Mitarbeitergeschäften. So nutzten BaFin-Mitarbeiter ihr Insiderwissen, um mit Wirecard-Aktien zu handeln.
Das „rechtswidrige Leerverkaufsverbot“ habe die BaFin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verhängt, das habe „ein fatales Signal in den Markt“ gesendet. Scholz‘ Büro und sein Staatssekretär seien darüber vorab informiert gewesen – „und niemand hat die Reißleine gezogen“. Scholz und sein Staatssekretär Jörg Kukies, der mittlerweile im Kanzleramt tätig ist, dementierten dies bereits im vergangenen Jahr im U-Ausschuss. Wer von den beiden Parteien die Wahrheit erzählt, bleibt offen.
Staatssekretär: „Kein besonderes Interesse an Wirecard als nationalen Champions“
Auch anderes Fehlverhalten streitet das Team rund um Olaf Scholz ab. Kukies wies damals etwa auch die Vorwürfe zurück, man habe den damals aufstrebenden Tech-Konzern mit Samthandschuhen angefasst. „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine besondere Privilegierung der Wirecard AG“, betonte er. Im Finanzministerium habe es „kein besonderes Interesse an der Verteidigung eines sogenannten nationalen Champions Wirecard gegeben“.
Allein: Wie „Der Spiegel“ berichtet, hat Kukies noch am 23. Juni 2020, also zwei Tage vor der Insolvenz, versucht, den Kredit für Wirecard verlängern zu lassen. So soll er den Geschäftsführer der Ipex-Bank, Tochter der staatlichen Förderbank KfW, dazu gedrängt haben, dass das Kreditinstiut sein „Engagement“ gegebenenfalls noch aufstockt, wie Ipex-Chef Klaus Michalak in internen Mails an seine Vorgesetzten schrieb. Sie liegen dem „Spiegel“ vor.
Hauer glaubt auch nicht daran, dass Wirecard kein „nationaler Champion“ werden sollte. Er fordert härtere Konsequenzen bei den Verantwortlichen im damaligen Finanzministerium.
„Personelle Konsequenzen wurden wegen Wirecard an vielen Stellen gezogen, aber gerade Scholz und seine Vertrauten haben sich weggeduckt“, kritisiert der Finanzpolitiker; dabei gibt es auch Verwicklungen zwischen seiner eigenen Partei und dem Skandalunternehmen.
Bei den politischen Verwicklungen geht es längst nicht nur um Scholz und seinen Staatssekretär. So hat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Chinareise im September 2019 für den Markteintritt von Wirecard in China geworben – auf Bitte des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der als Berater von Wirecard arbeitete. Zu Guttenberg sieht sich mittlerweile als Opfer.
Was hat sich seit Wirecard in der Aufsicht verändert?
Das Urteil des Sondervotums von FDP, Grünen und Linken zum U-Ausschuss ist hart. „Deutsche Aufsichtsbehörden sind nicht fit für das Internet-Zeitalter“, hieß es damals. Doch seitdem hat sich einiges getan. Die BaFin wurde reformiert. Sie erhielt mehr Kompetenzen und Durchgriffsrechte. Die Aufsicht mit Sitz in Bonn und Frankfurt soll damit schlagkräftiger werden. Dafür erhielt die Aufsicht auch rund 150 neue Stellen.
So ging Mitte August 2021 die Fokusaufsicht an den Start, die Kontrolle von Finanzdienstleistungsunternehmen mit komplexen oder innovativen Geschäftsmodellen aus einer Hand. Zuvor konnte die BaFin erst eingreifen, wenn sie Zweifel an der Arbeit der DPR hatte, einer privaten Stelle zur Bilanzprüfung, oder ein Unternehmen nicht mit der DPR kooperierte.
BaFin mit neuem Chef
Dieses zweistufige Verfahren erwies sich jedoch im Wirecard-Skandal als behäbig. Erst nachdem Wirecard kollabierte, hat die BaFin die Prüfung der selbsternannten Bilanzpolizei übernommen. Zuvor geschah ein Jahr lang: nichts.
Daneben etablierte die Regierung eine Taskforce bei der BaFin: eine Art schnelle Eingreiftruppe, die in dringenden Fällen sofort einsatzfähig sein soll. Zudem ist Mitarbeitern der BaFin seitdem weitgehend verboten, privat mit Aktien und Anleihen zu handeln.
Und auch an der Spitze der BaFin gab es Konsequenzen. Die Aufsichtsbehörde bekam zum August 2021 einen neuen Chef, nachdem der Vorgänger, Felix Hufeld im Januar 2021 gehen musste: Mark Branson, früherer Chef des Schweizer BaFin-Pendants, der Finma, soll die Aufsichtsbehörde zurück auf Kurs bringen.
CDU-Politiker Hauer findet das gut. „Ein erster Schritt ist mit dem Antritt von Branson gemacht, er bringt einen frischen Wind in die BaFin“, sagte er. „Doch es braucht einen langfristigen Mentalitätswechsel in der BaFin. Die Aufsicht muss hinsehen statt wegsehen.“
Was muss sich noch ändern?
Skeptischer ist da der frühere Linkspolitiker De Masi. „Die BaFin bekommt zwar mehr eigenes Personal für Bilanzkontrollen“, sagte er, „aber insbesondere bei Auslandstöchtern von deutschen Unternehmen oder bei einem ausländischen Firmensitz gibt es nach wie vor große Probleme.“
Die Finanzaufsicht bräuchte Durchgriffsrechte direkt an dem Ort, an dem ein Unternehmen agiert – „egal, wo es einen Briefkasten hat“. Und gegen die Geldwäsche gingen die Neuerungen auch nicht an, die Geldwäscheaufsicht in Deutschland sei „katastrophal“, so De Masi.
Auch Hauer sieht das ähnlich. „Bei großen internationalen Konzernen mit komplizierter Firmenstruktur darf nicht eine Bezirksregierung für die Geldwäscheaufsicht zuständig sein“, sagte er. „Das muss auf Bundesebene erledigt werden.“
Wirecard: Kompetenzgerangel zwischen Behörden
Tatsächlich sind die Aufsichtsbehörden der Bundesländer dafür zuständig, die Regeln zur Geldwäscheprävention bei sogenannten Nicht-Finanzunternehmen zu kontrollieren. Die Definition reicht dabei weit: Auch Versicherungsvermittler, Immobilienmakler und Anbieter von Glücksspiel fallen darunter.
Die Bezirksregierungen sind oftmals jedoch mit der Kontrolle überfordert, auch weil im Regelfall nur eine Handvoll Mitarbeiter in der Geldwäscheaufsicht tätig ist. Bei Wirecard fühlte sich indes die Bezirksregierung Niederbayern nicht zuständig. Und auch nicht die BaFin. Wirecard konnte folglich in den Lücken des Föderalismus agieren und seine umstrittenen Geldwäsche-Geschäfte weiter betreiben.
Könnte es zu weiteren Finanzskandalen kommen?
Ja, auszuschließen ist das zumindest nicht. „So bitter es ist: Wir werden noch mehr Bilanzskandale in Deutschland sehen“, sagte De Masi. „Es wird zwar sicher etwas genauer bei einem Dax-Konzern hingesehen, aber die Turbulenzen rund um den Immobilienkonzern Adler zeigen, dass unsere Finanzaufsicht immer noch nicht gut funktioniert“, so De Masi (siehe oben).
Gegen die Adler Group erheben Kritiker Betrugsvorwürfe, eine Sonderprüfung durch KPMG konnte sie nur teils aus der Welt räumen. Wie bei Wirecard war es Shortseller Fraser Perring, der Vorwürfe gegen Adler öffentlich machte (lesen Sie hier das t-online-Interview mit ihm).
Das Bundesfinanzministerium äußerte sich hingegen nicht zu der Frage. Es verwies auf eine entsprechende Anfrage unserer Redaktion nach möglichen weiteren Bilanzskandalen lediglich auf die Webseite des BMF, auf der es Infos zu Wirecard gebündelt hat.
„Höchstmaß von krimineller Energie“
Doch es gibt auch noch Optimisten im deutschen Finanzsektor. „Anleger am deutschen Aktienmarkt können darauf vertrauen, dass die allermeisten deutschen Unternehmen rechtstreu und gut geführt werden und auf eine transparente Kommunikation mit den Aktionären großen Wert legen“, sagte Christine Bortenlänger, Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts (DAI), t-online.
Das engmaschige Netz an Regulierung sorge dafür, dass unlauteres Verhalten „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ aufgedeckt werde, so Bortenlänger weiter. „100 Prozent ausschließen kann man Fälle, in denen ein Höchstmaß von krimineller Energie am Werk ist, allerdings leider nie ganz. Deshalb ist es auch wichtig, dass im Fall der Fälle hohe Strafen drohen.“
Was haben die Geheimdienste mit Jan Marsalek zu tun?
Das ist die entscheidende Frage. Fakt ist, seit Ende Juni 2020 ist Jan Marsalek, der für das umstrittene Asiengeschäft verantwortlich war, verschwunden. International wird nach ihm gefahndet, bislang jedoch ohne Erfolg. Nun aber wird es interessant: Denn wie die „Bild“ Anfang April schrieb, soll Marsalek in Moskau untergetaucht sein und nur wenige Kilometer vom Kreml entfernt gelebt haben – und womöglich bis heute dort leben.
Der Österreicher soll zudem unter der „Obhut“ des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB stehen. Deutschen Behörden soll dies bereits seit 2021 bekannt gewesen sein. Der FSB soll laut „Bild“ dem Bundesnachrichtendienst (BND) ein Treffen und eine Befragung Marsaleks angeboten haben.
Die BND-Zentrale in Berlin sei über das Angebot informiert worden, beantwortete die Anfrage aber laut dem Bericht nicht. Auch das Bundeskanzleramt soll über das brisante Gesprächsangebot informiert worden sein, hieß es damals.
Eine Woche nach dem Bericht soll die Münchner Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen an die russische Regierung gestellt haben, um seine Auslieferung zu erreichen, wie die Zeitung weiter schreibt. Bislang jedoch ohne Erfolg.
„Die deutschen Sicherheitsbehörden haben Marsalek herausspazieren lassen“
Fabio De Masi, der Marsalek „im russischen Einflussbereich“ vermutet, machen diese Vorgänge stutzig. „Russland soll dem BND vorgeschlagen haben, sich mit Jan Marsalek zu treffen. Der BND hatte dies dem Untersuchungsausschuss und der Staatsanwaltschaft verschwiegen, obwohl im ganzen Land Fahndungsplakate von Marsalek hängen“, sagte er.
Seine Vorwürfe gehen gar noch weiter: „Die deutschen Sicherheitsbehörden haben Marsalek mit Hilfe österreichischer Ex-Agenten herausspazieren lassen, obwohl dieser zum Beispiel öffentlich mit Geheimdokumenten zum Skripal-Anschlag herumgewedelt hat.“
Tatsächlich war die Flucht Marsaleks wohl akribisch vorbereitet. Einem Bericht des „Spiegels“ zufolge soll Marsalek noch am Tag seiner Freistellung, dem 18. Juni, über Weißrussland nach Russland gelangt sein; noch als Wirecard-Vorstand prahlte er mit seinen Beziehungen zu Geheimdienstlern.
Auch Jörn Leogrande, ehemaliger Wirecard-Innovationschef, sagte t-online jüngst, Marsalek habe eine „Obsession fürs Militärische“ gehabt. Mehr dazu lesen Sie hier.
De Masi: „Die Regierung stiehlt sich aus der Verantwortung“
Diese vermeintlichen Verbindungen zu Russland haben bei De Masi zu einem schweren Vertrauensbruch geführt: „Wenn ich ehrlich sein soll: Es fällt schwer, den deutschen Sicherheitsbehörden noch zu glauben.“
„Die Regierung blockt Anfragen von Abgeordneten unter Verweis auf das Staatswohl ab, aber der BND erzählt den Medien, das Angebot, Marsalek zu sprechen, sei nicht ernst zu nehmen gewesen, obwohl sie sofort das Kanzleramt informiert haben.“ Sein Fazit fällt entsprechend scharf aus: „Die Regierung stiehlt sich aus der Verantwortung.“
Er selbst nehme hohe persönliche Risiken auf sich, schreibt immer noch parlamentarische Anfragen, die er über Kollegen des Bundestags einreicht, „nur, dass alles abgeblockt wird“, so De Masi. Auch seinen damaligen Mitstreitern wirft er vor, untätig zu sein.
„Die Koalitionspartner von Bundeskanzler Scholz, FDP und Grüne, haben offenbar auch kein Interesse mehr, dass Dinge ans Licht kommen, die den ehemaligen Finanzminister Scholz oder deutsche Sicherheitsbehörden belasten“, sagte er.
Und weiter: „Marsalek stellt mit seinem Wissen vermutlich ein Sicherheitsrisiko für Deutschland dar.“ Das wisse auch Putin. „Er wird Marsalek nicht einfach so freigeben, sondern hohe Forderungen an Deutschland stellen. Putin hat die Bundesregierung bei Wirecard in der Hand“, so der ehemalige Linkspolitiker weiter. Dabei gilt: Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine dürften etwaige Verhandlungen mit dem Kremlchef noch komplizierter werden.
Hauer bringt neuen U-Ausschuss ins Spiel
Auch Ex-Wirecard-Manager Leogrande vermutet, dass viele Menschen ein Problem hätten, wenn Marsalek wieder auftaucht. „Denn Jan könnte mit Sicherheit einige Fragen klären, die heute immer noch offen sind“, sagte Leogrande, der Marsalek und Braun duzte. „Etwa zu den Verbindungen zu den Geheimdiensten oder zu der Rolle von Wirecard-CEO Markus Braun.“
Der CDU-Abgeordnete Hauer bringt gar einen neuen Untersuchungsausschuss ins Spiel. „Ich schließe einen weiteren U-Ausschuss zu Wirecard nicht aus“, sagte er. „Sollte es neue Erkenntnisse geben – etwa zum Aufenthaltsort von Marsalek oder aus den Strafverfahren, beispielsweise gegen Markus Braun –, müssten die Konsequenzen geklärt werden. Der Wirecard-Skandal ist noch lange nicht vollständig aufgeklärt.“
De Masi teilt derweil eine weitere Spitze gegen den BND aus: „Wenn die Geheimdienste Marsalek nicht sprechen wollen, ich mache das gerne. Ich habe Marsalek noch nie gesprochen. Er kann sich aber gerne bei mir melden, ich hoffe, er liest t-online.“
Was sagt der frühere Wirecard-Chef Braun dazu?
Wenig. Markus Braun, der nach seiner Inhaftierung am 22. Juni 2020 zunächst gegen Kaution freikam, wurde einen Monat später erneut verhaftet. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Im Sommer entscheidet das Oberlandesgericht München darüber, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen, das Hauptverfahren also eröffnet wird.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Es geht um gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Marktmanipulation und Untreue. Bis zu zehn Jahre Haft drohen Braun. Der Ex-Manager bestreitet seit zwei Jahren sämtliche Vorwürfe; auch mit Aussagen zu Marsalek, der als Drahtzieher des Bilanzbetrugs gilt, hält er sich bedeckt.
Auf Anfrage von t-online teilte sein Sprecher mit, dass Braun „mehr denn je fassungslos darüber“ sei, dass ihn aus Vorstand und Mitarbeiterschaft heraus Personen, denen er bis zuletzt vertraut habe, hintergangen hätten. Diese Erzählung hatte Braun bereits mehrfach bemüht, den Namen Marsalek bislang nicht in den Mund genommen.
Braun stellt auf kriminelle „Bande“ ab
Der Manager stellt sich als Opfer dar: Wirecard sei ein funktionierendes Unternehmen gewesen, „das nur durch die Machenschaften einer hochkriminellen Bande zerstört wurde“. Es habe „sehr wohl“ Einnahmen aus dem Wirecard-Drittpartnergeschäft gegeben, diese habe aber eine „Bande“ aus dem Unternehmen geschleust und über Schattenstrukturen veruntreut, so der Sprecher weiter.
„Doktor Braun war nie Mitglied dieser Bande, hat nie von ihr profitiert und hat von ihrem Tun erst aus den Akten erfahren.“ Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei es daher, „endlich dem Geld der Anleger nachzuspüren, das von dieser Bande unterschlagen wurde.“ Aller Voraussicht nach startet im Herbst 2022 das Hauptverfahren gegen Braun. Doch der Mann, der die Antworten geben könnte, wird wohl nicht dabei sein: Jan Marsalek.